Esther Uhlmann (M.A.) ist seit über sieben Jahren bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung Sachsen (DKJS) und derzeit Leitung der Programme Diversität und Demokratie in Kindertageseinrichtungen stärken (DiDeKis) und WillkommensKITAs.
Wir freuen uns, dass wir Esther Uhlmann für ein Interview gewinnen konnten.
Welches Verhältnis haben Sprache und Demokratie zueinander? Und was ermöglicht uns Sprache in demokratischen Strukturen?
Demokratie und Sprache haben viel miteinander zu tun. Sprache ist nicht nur ein Mittel, um politische Meinungen zu äußern, zu begründen und zu vermitteln, sondern auch ein Instrument, um politische Macht auszuüben, zu sichern und zu kontrollieren. Sprache kann auch die politische Kultur und die demokratische Teilhabe beeinflussen. Sprache und Demokratie sind also nicht losgelöst voneinander zu betrachten, sondern stehen in einem wechselseitigen Verhältnis.
Sprache ermöglicht es (politische) Sachverhalte zu beschreiben, zu bewerten und zu interpretieren. Dabei kann die Wortwahl einen bestimmten Standpunkt oder eine bestimmte Ideologie verraten. Die Bezeichnungen “Erzieherin”, “Pädagogin” oder “Bildungsbegleiterin” können bspw. anzeigen, wie man die Rolle und die Aufgaben dieser Fachkräfte versteht. Zum Beispiel kann die Bezeichnung “Erzieher/-in” eine Sichtweise ausdrücken, die die Fachkraft als Autorität und Anleiter/-in ansieht und die Erziehung und Sozialisation der Kinder in den Vordergrund stellt. Die Bezeichnung “Pädagoge bzw. Pädagogin” hingegen erkennt die Fachkraft als Expertin und Gestalterin an, die gute Bildung und Förderung der Kinder in den Vordergrund stellt. Mit der Bezeichnung “Bildungsbegleiter/-in” wird die Fachkraft als Partner/-in und Unterstützer/-in betrachtet, die die Selbstbildung und Partizipation der Kinder in den Vordergrund stellt.
Sprache dient auch dazu, politische Ziele zu verfolgen, politische Gegner anzugreifen oder politische Anhänger zu mobilisieren. Dabei werden oft sprachliche Strategien wie Schlagwörter, Metaphern, Euphemismen oder Dysphemismen eingesetzt. Die Metapher “Flüchtlingswelle” kann beispielsweise eine negative Einstellung gegenüber geflüchteten Menschen implizieren oder eine Angst vor Überforderung auslösen. [1]
Sprache ist auch ein Ausdruck der politischen Kultur und der demokratischen Teilhabe. Die Art und Weise, wie Politiker/-innen und Bürger/-innen miteinander kommunizieren, zeigt, wie viel Respekt, Toleranz und Dialogbereitschaft in einer Gesellschaft herrscht. So kann eine höfliche, sachliche und argumentative Kommunikation das Vertrauen in die Politik stärken, während eine polemische, aggressive und manipulative Kommunikation das Misstrauen fördern kann. [2]
Welchen Einfluss hat Sprache auf die Demokratiebildung in Kindertageseinrichtungen wie dem Kindergarten oder dem Hort?
Sprache hat einen großen Einfluss auf die Demokratiebildung in Kindertageseinrichtungen. Sie ist nicht nur ein Mittel, um sich auszudrücken, zu verstehen und zu lernen, sondern auch ein Instrument, um sich an der Gestaltung des eigenen Lebens und der gemeinsamen Umwelt zu beteiligen. Sprache ermöglicht es, Kindern, ihre Rechte, Bedürfnisse, Wünsche und Meinungen zu formulieren, zu begründen und zu vertreten. Sprache fördert die Entwicklung von sozialen Kompetenzen wie Respekt, Empathie, Toleranz und Konfliktfähigkeit, die für ein demokratisches Miteinander wichtig sind.
Sprache schafft Partizipation: Kinder wirken durch Sprache an Entscheidungen, die sie betreffen, mit, wie zum Beispiel bei der Auswahl von Spielen, Büchern oder dem Ziel von Ausflügen. Sie können ihre eigenen Ideen und Vorschläge einbringen und mit anderen darüber diskutieren. Durch Sprache lernen die Kinder, dass ihre Stimme zählt und sie Verantwortung für sich und andere übernehmen. [3] [4] [7]
Sprache stärkt Diversität: Kinder drücken dadurch ihre eigene Identität und Kultur aus und lernen die Identität und Kultur anderer kennen und schätzen. Sie können über Unterschiede und Gemeinsamkeiten sprechen und sich gegenseitig unterstützen. Durch Sprache lernen die Kinder, dass Vielfalt eine Bereicherung ist und dass sie von anderen lernen können. [5] Jede Familienkultur ist individuell und ihr sollte Wertschätzung entgegengebracht werden, indem den Kindern Raum gelassen wird, um über ihre Herkunft, ihre Familie, ihre Hobbys oder ihre Träume zu sprechen oder mehrsprachige Lieder, Geschichten und Gedichte kennenzulernen. [8]
Sprache fördert Demokratiebewusstsein: Kinder lernen durch Sprache demokratische Werte und Regeln kennen und verstehen, wie sie in ihrem Alltag angewendet werden. Sie können über aktuelle Themen, Ereignisse, Fairness, Gerechtigkeit, Respekt oder Toleranz sprechen, Konflikte lösen und sich eine eigene Meinung bilden. [9] Durch Sprache lernen Kinder, dass Demokratie eine Lebensform ist und dass sie sich für sie einsetzen müssen. [6]
Kinder können durch Sprache ihre Kreativität, ihr kritisches Denken und ihr Engagement entwickeln. Zum Beispiel indem sie eigene Geschichten erfinden, Fragen stellen, Probleme lösen oder sich für eine gute Sache einsetzen.[10] Sprache ist also ein wesentliches Mittel für die Demokratiebildung in der Arbeit mit Kindern. Kinder erleben sich als aktive Mitglieder der Gesellschaft und gestalten diese mit. [11]
Welche Rolle spielen Demokratie (und Sprache) in Eurem Programm?
Demokratie spielt eine wichtige Rolle im Programm Diversität und Demokratie in Kindertageseinrichtungen stärken (DiDeKis), wie auch für die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung insgesamt. Wir zielen darauf ab, die demokratische Bildung und Teilhabe von Kindern in Kitas und Horten zu fördern und zu stärken. Dabei verstehen wir Demokratie als Haltung und Praxis, die sich in der pädagogischen Arbeit widerspiegeln soll. Demokratie in der Kita heißt, dass Kinder ihre Lebenswelt von Anfang an mitgestalten, sich an Entscheidungen und Konfliktlösungen beteiligen und Vielfalt als Normalität erleben können. In DiDeKis machen wir pädagogischen Fach- und Leitungskräften verschiedene Angebote, um sie in ihrer Rolle zu stärken und im Austausch miteinander ihr pädagogisches Handeln zu reflektieren. Mit dem Programm möchten wir als Deutsche Kinder- und Jugendstiftung einen Beitrag zur Entwicklung einer demokratischen Kultur in der frühen Bildung in Sachsen leisten.
Sprache spielt dabei eine essenzielle Rolle im Programm. Sie ist sowohl ein Ziel als auch ein Mittel unserer Arbeit mit den Kindertageseinrichtungen, in dem wir u. a. die Wertschätzung von Mehrsprachigkeit in der Bildung und Förderung der Kinder in den Mittelpunkt stellen. Wir unterstützen die Einrichtungen dabei, die eigenen (sprachlichen) Kompetenzen und Potenziale sowie die der Kinder zu erkennen, zu erweitern und zu vertiefen. Hierbei werden die Mehrsprachigkeit und die kulturelle Vielfalt der Kinder wertgeschätzt und gefördert. [12]
Mit dem Programm wollen wir die sprachliche Interaktion und Kommunikation zwischen den Kindern, pädagogischen Fachkräften und Eltern stärken. Mit den Angeboten des Programms regen wir die Einrichtungen an, eine sprachförderliche Umgebung zu schaffen, in der die Kinder ihre Meinungen, Wünsche und Bedürfnisse äußern, sich an Entscheidungen beteiligen und Konflikte lösen können. Dabei werden demokratische Werte und Regeln vermittelt und gelebt.
Sprache ist auch ein Mittel für die Qualitätsentwicklung und das Netzwerken der Einrichtungen. Im Programm bieten wir den pädagogischen Fach- und Leitungskräften verschiedene Formate zur Qualifizierung, zum Austausch, zur Reflexion und zur Hospitation an. Dabei werden Diversität und Demokratie aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und diskutiert. Die Fachkräfte können sich gegenseitig inspirieren, beraten und unterstützen.
Sprache ist ein wichtiger Bestandteil des Programms Diversität und Demokratie in Kindertageseinrichtungen stärken der DKJS. Sie ermöglicht Kindern, sich als aktive und selbstbestimmte Mitglieder einer vielfältigen Gesellschaft zu erleben und “die Gesellschaft im Kleinen“ zu gestalten. Darüber hinaus fördert sie die Professionalität und das Engagement der pädagogischen Fachkräfte sowie eine gute Fachkraft-Kind-Interaktion.
Als Deutsche Kinder- und Jugendstiftung sind wir davon überzeugt, dass Demokratiebildung durch Mitreden, Mitgestalten und Teilhabe gelingt. Darum fördert und fordert die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung mit ihren Demokratieprogrammen Beteiligung und Partizipation von Anfang an.*
* Wir sind uns der Macht der gesprochenen und geschriebenen Sprache bewusst. Das Interview wurde nach den Vorgaben des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus gegendert.
Quellen:
[1] https://www.bpb.de/themen/parteien/sprache-und-politik/
[2] https://www.bpb.de/themen/parteien/sprache-und-politik/42678/einstieg-sprache-und-politik/
[3] https://www.dji.de/themen/politische-bildung/demokratiebildung-in-der-kita.html
[4] https://www.der-paritaetische.de/themen/soziale-arbeit/partizipation-und-demokratiebildung-in-der-kindertagesbetreuung/
[5] https://www.der-paritaetische.de/themen/soziale-arbeit/partizipation-und-demokratiebildung-in-der-kindertagesbetreuung/das-abc-der-beteiligung/kita-und-schule-unterschiede/
[6] https://www.dji.de/themen/politische-bildung/demokratiebildung-in-der-kita.html
[7] https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/kinder-und-politik-2022/506632/demokratie-mit-kindern-in-der-kita/
[8] https://www.dkjs.de/fileadmin/Redaktion/Wege_zur_WillkommensKITA_4.Auflage_web.pdf
[9] https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/kinder-und-politik-2022/506632/demokratie-mit-kindern-in-der-kita/
[10] https://integration.stiftung-kinder-forschen.de/hintergrund/weiterfuehrende-links/weiterfuehrende-links-demokratiebildung
[11] https://willkommenskitas.de/files/Redaktion/Material/Arbeitsmaterialien_Demokratie%20von%20Anfang%20an_Netzwerke%20f%C3%BCr%20Demokratie-web.pdf
[12] https://www.dkjs.de/didekis/?L=0