Was Kleinkinder mit 14 Monaten bereits können, nämlich mit einer Zeigegeste ihren Eltern mitteilen, dass sie „das da“ haben möchten, scheint den Menschenaffen im
Pongoland des Leipziger Zoos ausgesprochen schwer zu fallen. Über die Grundlagen und die kindliche Entwicklung der Kommunikation diskutierten am 16.06.2012 Forscher/-innen verschiedener
Wissenschafts-disziplinen aus Deutschland, England und der Schweiz auf dem 1. Leipziger Frühjahrssymposium Sprache & Kommunikation an der Universität Leipzig.
„Gerade der interdisziplinäre Blick ist dem vielschichtigen Gegenstand ‚Sprache‘ angemessen“, beschreibt Christian W. Glück, Professor für Pädagogik bei Sprach- und
Kommunikationsbeeinträchtigungen der Universität Leipzig, das Credo der von ihm neubegründeten Symposiumsreihe. „So entstehen für die Praxis und Forschung wertvolle Anregungen.“ Das sei auch im
Kontext der Lehrerbildungsinitiative des Bildungspaktes von hoher Bedeutung, bestätigt der Dekan der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät Professor Hofsäss in seinem Grußwort.
Jörg Meibauer (Germanistik Universität Mainz) führte in den Fokus „Pragmatik“ des Symposiums ein und verdeutlichte an launigen Beispielen, dass wir Menschen uns nur
verstehen können, weil wir das unmittelbar Gesagte beim Hören anreichern, und wie wir Menschen uns auch darauf verlassen können, dass der Zuhörer kooperativ ist und diese Interpretationsarbeit
auch leistet. Wie diese Feinabstimmung im Prozess der Kooperation sich entwickelt, konnte Anna Runge (Germanistik Universität Hamburg) ganz verblüffend an den alltäglichen „hm“s und „aha“s
nachweisen, die wir beim Zuhören von uns geben. Aus seiner reichhaltigen Erfahrung beim Aufbau des Autismus-Beratungszentrums Erfurt destilliert Martin Degner (Sonderpädagoge) die Studiendesigns
für die Erforschung der Kommunikation bei Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen, die oft gar nicht zur Lautsprache kommen oder deren Interpretation von Sprache besonders ist, indem sie bei
bildhafter Sprache alles wörtlich nehmen und sich nicht in die Perspektive des Sprechers hineinversetzen können.
Wie kann Kindern und Jugendlichen mit pragmatischen Störungen geholfen werden? Für die Sprachförderung und Sprachtherapie liegen in Deutschland nur vereinzelt
Konzepte und Forschungsergebnisse vor. Die Grundlage muss eine differenzierte Diagnostik bilden. Als neueste Forschungsarbeiten hierzu präsentierten Claudia Wirts (Institut für Frühpädagogik,
München) ein videogestütztes Beobachtungsverfahren sowie Markus Spreer und Stephan Sallat (Sonderpädagogik Universität Leipzig) einen Einschätzbogen für Erzieherinnen und Eltern. Gerade auch die
Strukturierung in therapeutischen Profilen, die Andrea Dohmen (Entwicklungspsychologie Oxford University) vorstellte und die Umsetzung einer spezifischen Therapiekonzeption mit den allgemeinen
Mitteln des Improvisationstheaters von Bettina Achhammer (Sprachtherapie Universität München) stießen auf großes Interesse bei den etwa 70 Teilnehmern des Symposiums, da viele von ihnen in
Schulen, Kindergärten, Kliniken und Praxen im Bereich Sprachtherapie und Sprachförderung arbeiten.
Und was haben nun die Menschenaffen aus dem Pongoland mit dem Symposiumsthema zu tun? „Die Zeigegeste ist eine sog. triadische Kommunikation“ (ich-du-Gegenstand)
erläutert Richard Moore vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Und da eine Zeigegeste für sich genommen nichts aussagt, muss sie vom „Zuhörer“ erst gedeutet werden.
Und spätestens jetzt kommt wieder die Pragmatik ins Spiel. So können wir von den Affen lernen, was menschliche Kommunikation ausmacht. Moore verweist dabei auf seinen Chef Michael Tomasello: Die
Grundlage der menschlichen Kommunikation bildet die besondere Qualität der Kooperation, wie es sie nur beim Menschen gibt.
Und die Kooperation der Wissenschaftsdisziplinen wiederum hat dieses Symposium Sprache & Kommunikation zum Erfolg geführt. Im nächsten Jahr wird es den Titel
tragen: „Sprachförderung: Konzepte – Bedingungen – Wirkungen“.
Prof. Blechschmidt und Prof. Glück vereinbaren auf dem Symposium einen Erasmus-Austausch zwischen Basel und Leipzig
Wissenschaftler auf dem 1. Leipziger Frühjahrssymposium Sprache & Kommunikation
v.l.n.r.: Dr. Anna Runge (Hamburg), Dr. Markus Spreer (Leipzig), Prof. Jörg Meibauer (Mainz), Dr. Andrea Dohmen (Oxford), Dr. Claudia Wirts (München), Dr.
Stephan Sallat (Leipzig), Prof. Christian Glück (Leipzig), Bettina Achhammer (München), Dr. Martin Degner (Erfurt).
Rückblick: Referent/-innen und Inhalte
Bettina Achhammer, M.A.
seit Abschluss des Sprachheilpädagogikstudiums 2006 Tätigkeit als angestellte Sprachtherapeutin und fachliche Leitung (2008) in einer logopädischen Praxis.
Arbeitsschwerpunkte: Neben Stimmstörungen insbesondere Sprachtherapie in Kleingruppen. In diesem Bereich seit 2010 laufende Promotion zur Förderung sozial-kommunikativer Kompetenzen bei Kindern.
Im Rahmen dieses Forschungsdesigns greift Frau Achhammer auf ihre langjährige Erfahrung mit dem Improvisationstheater zurück.
Abstract: Pragmatik-Therapie in der Gruppe
Die Ergebnisse zahlreicher Studien legen nahe, dass Störungen in den sozial-kommunikativen Fähigkeiten die Entwicklung von Kindern nachhaltig beeinträchtigen können. Diese Einschränkungen führen
nicht nur zu sprachlichen Auffälligkeiten – wie etwa Schwierigkeiten beim Erzählverhalten –, sondern ziehen meist eine Vielzahl weiterer Beeinträchtigungen in psychosozialer Hinsicht nach sich.
So können beispielsweise Kinder mit pragmatischen Auffälligkeiten grundlegende Entwicklungsaufgaben, wie die Knüpfung von Sozialkontakten, oft nicht altersadäquat meistern. Vor diesem Hintergrund
ist es erstaunlich, wie gering jenes Themenfeld bislang beforscht wurde und wie wenige Therapieansätze zur Förderung sozial-kommunikativer Fähigkeiten bei Kindern existieren. Ausgehend von vom
aktuellen Forschungsstand wurde deshalb ein Therapiekonzept entwickelt, das auf die Besonderheiten dieses Störungsbildes zugeschnitten ist. In mehrfacher Hinsicht zeigt sich zur Umsetzung eines
derartigen Therapiekonzeptes die Adaption von Methoden des Improvisationstheaters als hilfreich. Das Improvisationstheater ist eine Form des Theaters, in der Kreativität und der spontane Umgang
mit Vorgaben die Szenen bestimmen. Beim gemeinsamen Improvisieren rücken Kommunikation und Interaktion in den Vordergrund. Die Zusammenarbeit der Akteure ist dabei entscheidend. Geschichten und
Szenen werden gemeinsam entwickelt, indem Ideen des anderen aufgenommen und weiterentwickelt werden. Hier bestehen große Übereinstimmungen zur Kommunikation im Alltag, die stets in der
Interaktion zweier oder mehrerer Kommunikationspartner stattfindet. Dabei spielen Eigen- und Fremdwahrnehmung sowie Körpersprache eine große Rolle. Jene Fähigkeiten werden mit Übungen aus dem
Improvisationstheater, in einer dem kindlichen Lernen nahe liegenden Form – dem Rollenspiel –, trainiert. Ein zentraler Aspekt ist hier die Interaktion in der Gruppe – denn ohne Zusammenarbeit
klappt das Zusammenspiel nicht. Der flexible Rahmen entspricht der Alltagswirklichkeit, die oft unvorhersehbar ist und Improvisation erfordert. Dieses Training wurde in einer 3. Klasse eines
sonderpädagogischen Förderzentrums durchgeführt und wird derzeit im Rahmen einer Doktorarbeit evaluiert. Der Vortrag stellt dieses Therapiekonzept vor und zeigt Beispiele für die praktische
Anwendung.
Andrea Dohmen
Department of Experimental Psychology / University of Oxford: Ausbildung zur Logopädin in Aachen, Studium der Medizinalfachberufe (BSc) an der FH
Hildesheim, Studium ‚Human Communication Science’ (MSc, UK) am University College London sowie Promotion (PhD, UK) an der City University London (Supervisorinnen: Shula Chiat, Penny Roy,
Christina Kauschke). Seit Maerz 2012 post-doc fellowship an der University of Oxford (Mentorin: Dorothy Bishop). Arbeitsschwerpunkt: Kindlicher Sprach- und Kommunikationserwerb und dessen
Störungen
Abstract: Rahmenplan zur Therapiekonzeption bei pragmatisch-kommunikativen Defiziten
Erfolgreiches kommunikatives Handeln ist eine komplexe Leistung, die nur durch die Integration vielfältiger Fähigkeiten und Informationen wie u.a. pragmatisch-kommunikativer, sozio-kognitiver,
sprachstruktureller, sprachlich-pragmatischer und kontextueller Aspekte möglich wird. Einschränkungen der kommunikativen Kompetenz können in mannigfacher Art und Weise deutlich werden und sind
bei einer Bandbreite unterschiedlicher Diagnosen in der logopädischen/sprachtherapeutischen Praxis zu beobachen (Adams, 2005). Hierbei ist es nicht generell möglich spezifische Diagnosen
spezifischen Profilen eingeschränkter kommunikativer Kompetenz zuzuordnen, da Kinder mit unterschiedlichen Diagnosen nicht selten ähnliche und sich überschneidende Schwierigkeiten zeigen. Dieser
Vortrag präsentiert einen Rahmenplan zur Therapiekonzeption bei pragmatisch-kommunikativen Defiziten, der primär das Erscheinungsbild und nicht die zu Grunde liegende Diagnose der Defizite
fokussiert. Das übergreifende Ziel der Intervention ist die Erweiterung der kommunikativen Kompetenz und somit der Möglichkeiten eines Kindes zur Partizipation am Alltag. Die individuelle
Therapiekonzeption leitet sich jedoch aus dem Profil der Stärken und Schwächen eines Kindes ab und kann einen oder mehrere Entwicklungsbereiche beruüksichtigen, die kommunikative Kompetenz im
Sinne der Anwendung verbaler und nonverbaler Ressourcen in variablen Kontexten ermöglichen. Ausgehend von typischen Erscheinungsformen pragmatisch-kommunikativer Schwierigkeiten werden fünf
Profile kommunikativer Defizite mit unterschiedlicher Kernproblematik unterschieden: • verzögerte soziokognitive und pragmatisch-kommunikative Faehigkeiten • sprachsystematische Defizite •
sprachlich-pragmatische Defizite • sozial-kommunikative Defizite • persistierende kommunikative Defizite Diese Klassifikation bildet die Grundlage zur Ableitung unterschiedlicher
Therapieschwerpunkte.
Claudia Wirts, M.A.
ist seit 2007 wissenschaftliche Referentin am Staatsinstitut für Frühpädagogik mit dem Schwerpunktbereich Interaktion/ Sprache. Derzeitige
Arbeitsschwerpunkte: Erwachsenen-Kind-Interaktion, Zuhören, sprachliche Bildung im Krippenbereich. Beruflicher Werdegang: Studium der Sonderpädagogik (Sprachheilpädagogik), Sprachtherapeutin
(Frühförderung) und Integrationspädagogin (Kindergarten) sowie Lehraufträge an der LMU München und der PH Heidelberg.
Abstract: Pragmatische Aspekte in der Interaktion mit Late Talkers
Interaktionen mit Late Talkers stehen durch die geringen sprachlichen Möglichkeiten der Kinder in einem besonderen Kontext. Das Interaktionsverhalten der Eltern muss auf die besonderen
Bedürfnisse ihrer spät sprechenden Kinder abgestimmt werden und verlangt von ihnen andere Anpassungsprozesse als die Interaktion mit gleichaltrigen Kindern mit normalem Spracherwerb (Kiening,
2011). Auch die Kinder entwickeln spezifische Kompensationsstrategien, um ihre Bedürfnisse trotz geringer verbaler Möglichkeiten mitteilen zu können. Der Vortrag beschäftigt sich mit der
Frage, wie gut es Müttern und Late Talkers gelingt, sich aufeinander einzustellen und ob bzw. welche Zusammenhänge mit späteren sprachlichen Kompetenzen erkennbar werden. Dabei werden
Ergebnisse einer laufenden Studie präsentiert, die sich schwerpunktmäßig mit den pragmatischen Aspekten der Interaktion von zweijährigen Late Talkers und ihren Müttern auseinandersetzt. Zudem
wird der Beobachtungsbogen für Eltern-Kind-Interaktion (BFI) (Schelten-Cornish & Wirts, 2008) vorgestellt, mit dessen Hilfe das Interaktionsverhalten von Eltern und Kindern analysiert und
dieses Wissen für die therapeutische Arbeit nutzbar gemacht werden kann.
Literatur
Kiening, D. (2011). Ausgewählte Aspekte der sprachlichen Mutter-Kind-Interaktion bei 2-jährigen Kindern mit spätem Sprechbeginn, LMU. München
Schelten-Cornish, S. und Wirts, C. (2008). Beobachtungsbogen für vorsprachliche Fähigkeiten und Eltern-Kind-Interaktion (BFI). LOGOS interdisziplinär, 16 (4), 262-270.
Martin Degner, Dr. phil.
ist Sonderschullehrer mit 1. und 2. Staatsexamen, Aufbau und Leitung des Autismuszentrums "Kleine Wege" in Erfurt (2006-2012), 2009 Promotion zum Dr. phil. im
Fachbereich Heilpädagogische Psychologie an der Universität zu Köln (Prof. Susanne Nußbeck) mit einer empirischen Arbeit zur evidenzbasierten Praxis bei Autismus, seit 2010 Mitarbeit in der
Nachwuchsforschungsgruppe "Kleinkindforschung in Thüringen" (KiT) der Universität Erfurt, Referent zum Thema Autismus und geistige Behinderung
Abstract: Pragmatische Fähigkeiten bei Autismus
Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die durch Beeinträchtigungen der Interaktion und Kommunikation sowie stereotypes und repetitives Verhalten gekennzeichnet ist.
Autismusspektrumstörungen (Autismus, Asperger-Syndrom und der atypische Autismus) treten mit einer Häufigkeit von 60 auf 10.000 Geburten auf. Wesentlicher Aspekt der autistischen
Kommunikationsstörung sind der beeinträchtigte Gebrauch von Sprache und Gestik zu sinnvollen Kommunikation. Im Vortrag werden zuerst frühe Symptome dieser Störung der Pragmatik beschrieben und
anschließend typische Formen der Sprachverwendung durch erwachsene Menschen mit Autismus dargestellt. Dem folgte eine Erläuterung der zugrunde liegenden kognitiven Modelle bei Autismus. Es werden
dazu aktuelle Ergebnisse der eigenen Forschung zur Entwicklung sozial-kommunikativer Kompetenzen bei Kleinkindern sowie autistischen und entwicklungsverzögerten Kindern, herangezogen.
Abschließend werden geeignete Therapiemöglichkeiten vorgestellt, um Menschen mit Autismus eine sinnvolle Kommunikation zu ermöglichen.
Anna Runge, Dr. phil.
Universität Hamburg / Institut für Germanistik I
Linguistin, Studium des Deutschen als Fremdsprache, 2010 Promotion zum Thema "Ausbildung kindlicher Kommunikationsfähigkeit", z.Zt. wissenschaftliche
Mitarbeiterin am Institut für Germanistik I der Universität Hamburg. Forschungsschwerpunkte: Spracherwerb, Kind-Kind-Interaktion, linguistische Diskursanalyse, bildungssprachliche
Kompetenzen und ihre Erfassung
Abstract: Kooperation herstellen und aufrechterhalten – Die Aneignung von Mitteln der Diskursorganisation bei Kindern im Alter von 5 bis 8 Jahren
Für ein konsistentes und kontinuierliches gemeinsames Handeln spielt die Organisation des Diskurses, also die Handlungskoordination von Sprecher und Hörer, eine tragende Rolle.
Wie diese Fähigkeit im Alter zwischen 5 und 8 Jahren angeeignet wird, möchte ich in meinem Vortrag genauer beleuchten. Im Mittelpunkt stehen sprachliche Mittel der Sprecher- und Hörersteuerung
wie z.B. Vokative, Interjektionen, Nachschaltungen und Bestätigungsfragen. Ihre Aneignung kann besonders gut an Sequenzen des spontanen Erzählens und Zuhörens unter Kindern untersucht
werden.
Datengrundlage der linguistischen Studie bilden videographierte spontansprachliche Sequenzen von drei Kindern beim freien Spiel im familiären Rahmen. Die Kinder wurden über einen Zeitraum von
drei Jahren hinweg – ab dem Alter von 5;2 bzw. 5;7 Jahren bis zum Alter von 8;1 bzw. 8;7 Jahren – begleitet. Die Daten wurden mit Methoden der Funktionalen Pragmatik analysiert.
Es zeigt sich, dass die fünf- bis achtjährigen Kinder in der Position des Sprechers ein breites Repertoire an sprachlichen Mitteln nutzen, um die Aufmerksamkeit des Hörers zu lenken und somit die
Interaktion mit Gleichaltrigen zu sichern. Anders sieht es aus, wenn die Kinder in der Hörerposition sind: Bei den Fünfjährigen fehlen die Hörerreaktionen häufig noch ganz Klassische
Hörerrückmeldungen wie die Interjektion HM treten sehr viel seltener auf, als es im Diskurs zwischen Erwachsenen üblich ist. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass die Kinder in der Sprecherrolle
fehlende Aktionen und Reaktionen auf Seiten des Hörers kompensieren, um die Interaktion aufrecht zu erhalten. Dies kann als eine kindliche Strategie zur erfolgreichen Bewältigung der Interaktion
mit Gleichaltrigen interpretiert werden.
Jörg Meibauer
ist Professor für Sprachwissenschaft des Deutschen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz seit 1998. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die
Grammatik des Deutschen (Satztypen, Modalpartikeln), Wortbildung (Komposition, Derivation), Interpunktion, Pragmatik (Sprechakttheorie, Implikaturentheorie, Redewiedergabe, experimentelle
Pragmatik), Spracherwerb (lexikalischer Erwerb, Spracherwerb und Kinderliteratur). Er ist Mitherausgeber aktueller Sammelbände zu den Themen „Understanding Quotation“ (2011),
„Experimental Pragmatics/Semantics“ (2011), „Spracherwerb und Kinderliteratur“ (2011), „What is a Context?“ (erscheint). Sein derzeitiger Schwerpunkt ist Lügen und Täuschen an der
Semantik/Pragmatik-Schnittstelle.
Pragmatik: Grundlagen, Entwicklung, Störung
Im ersten Teil des Vortrags wird ein Überblick über die Entwicklung der linguistischen Pragmatik seit 1960 gegeben. Pragmatik wird als Theorie der Produktion und Interpretation von Äußerungen im
Kontext verstanden. Meist unterscheidet man die pragmatischen Teilgebiete der Deixis und Referenz, der Implikatur, der Präsupposition, des Sprechakts und der Konversationsstruktur. Dazu sind
inzwischen weitere Gebiete getreten, zum Beispiel Informationsstruktur und Definitheit/Indefinitheit. Die neuere Diskussion kreist um die Frage der Abgrenzung der Pragmatik von der Semantik. Es
wird angenommen, dass semantische Strukturen unterdeterminiert sind und dass die Pragmatik Einfluss auf die Wahrheitsbedingungen von Sätzen hat. Dieser „kontextualistischen“ Sicht steht die
traditionelle „minimalistische“ Sicht gegenüber, bei die Pragmatik der Semantik strikt nachgeordnet ist. Es zeigt sich, dass der Kontextbegriff für das Verständnis der Pragmatik zentral ist. Im
zweiten Teil geht es um die pragmatische Entwicklung von Kindern. Es ist einsichtig, dass in allen pragmatischen Dimensionen Erwerbsprozesse stattfinden; diese reichen zum Teil noch bis in die
Adoleszenz. Im frühen Spracherwerb sind Prozesse des lexikalischen Lernens von Bedeutung, die zum Teil von pragmatischen Prinzipien abhängen. Ein weiterer Meilenstein ist der Erwerb der Theory of
Mind (ToM), die Kinder dazu befähigt, Gedanken, Einstellungen und Absichten von anderen ins Kalkül zu ziehen. Komplexere pragmatische Fähigkeiten wie zum Beispiel Humor, Täuschung, Narration und
Argumentation werden in der Schulzeit weiter ausgebaut. In der neueren Forschung zur experimentellen Pragmatik wird besonders die Fähigkeit von Kindern untersucht, pragmatische Schlüsse zu
ziehen. Dabei spielt wiederum die Beachtung des Kontexts eine große Rolle.
Im dritten Teil wird knapp dargestellt, wie die Pragmatik von der Erforschung der pragmatischen Störungen profitieren kann, und wie man umgekehrt Kenntnisse der pragmatischen Theorie benötigt, um
pragmatische Störungen zu identifizieren. Diagnostizierte Abweichungen von einer pragmatischen Norm können entweder in den Bereich der spezifischen Sprachentwicklungsstörung (SSES) oder des
Pragmatic Language Impairment (PLI) fallen, oder im Zusammenhang mit anderen Krankheitsbildern wie dem Autismus oder der Aphasie vorkommen. Einiges spricht dafür, dass pragmatische Störungen mit
der Schwierigkeit zusammenhängen, die Intentionen Anderer oder den Kontext zu begreifen.
Richard Moore,
PhD Philosophy ist post doc Wissenschaftler am Department für Psychologie am Max-Plank-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig und arbeitet u.a.
zu kommunikativen Intentionen bei Kindern. Seine Dissertation trägt den Titel "Learning to Do Things with Words".
Stephan Sallat, Dr. phil.,
ist Sprachheilpädagoge und promovierte 2007 in Gießen. Für seine Arbeit zur Musikverarbeitung bei Kindern mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen wurde er 2008
mit dem Deutschen Studienpreis der Körberstiftung ausgezeichnet. Zurzeit arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Sprachbehindertenpädagogik der Universität Leipzig und als
Lehrer an der Sächsischen Landesschule für Hörgeschädigte, Förderzentrum Samuel Heinicke in Leipzig. [...]
Markus Spreer, Dr. phil.,
ist Sprachheilpädagoge und promovierte 2012 in Leipzig. Seit 2007 ist er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Sprachbehindertenpädagogik der
Universität Leipzig tätig. Seine gegenwärtigen Forschungsprojekte sind: Prosodische Fähigkeiten spezifisch sprachentwicklungsgestörter Kinder; Wortschatz- und Sprachverständnisleistungen von
Schülern im Förderschwerpunkt "Motorische Entwicklung"; Berufs- und Bildungsbiographien von Kindern mit Sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Sprache – Übergänge im Bildungssystem.
Das 1. Leipziger Frühjahrssymposium wurde vom Institut für Sprache und Kommunikation in Prävention, Bildung und Rehabilitation (INSKOM) und der Universität Leipzig veranstaltet.