Barbara Leitner studierte Journalistik in Leipzig und bildete sich zum systemischen Coach und in diversen Kommunikationsmethoden (u. a. TZI, NLP, GFK) weiter. Sie ist als freie Journalistin und Autorin mit den Schwerpunkten Bildung und Leben mit Kindern tätig, arbeitet u. a. für „Betrifft Kinder“ und koordiniert die Kita-Fachtexte der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Außerdem gibt sie Seminare für pädagogische Fachkräfte zur Vermittlung der Gewaltfreien Kommunikation/ Professionellen Kommunikation und zur Partizipation von Kindern sowie Elternkurse.
Was unterscheidet Gesprächssituationen, in denen Sie als Journalistin tätig sind, von Gesprächssituationen, welchen pädagogische Fachkräfte im Alltag mit Kindern, Eltern und Kollegen begegnen?
Wie pädagogische Fachkräfte bin auch ich als Journalistin oder Fortbildnerin mit einer eindeutigen Intention in der Kita. Diese bestimmt die Gesprächssituation, die ich gestalte, um meine Zielstellung zu erfüllen. Also wenn Sie so wollen, sitze ich im gleichen Boot wie ErzieherInnen. Der Unterschied liegt im Detail: Ich habe eben nur ein Anliegen und einen Auftrag, muss nicht nebenbei noch Nasen putzen und Streit schlichten, obwohl ich das mitunter tue. Ich kann mich auf meine Interviews konzentrieren, habe dafür einen klaren Rahmen. Dieser ist angekündigt und alle sind darauf vorbereitet, um was es geht. Ich will so viel wie möglich erfahren, wie eine Kita mit einem Thema umgeht oder was Kinder davon halten. Also frage ich, bis ich ein gutes Gefühl habe. Ich beweise kurzfristig vielleicht mehr Geduld und Beharrlichkeit, weil mir nur dieser eine Moment bleibt. Ich fange an jedem Ort neu an, ohne konkrete Vorerfahrungen und Vorurteile, bin unbefangen und frei, was für Leichtigkeit sorgt. Pädagogische Fachkräfte können und müssen an dem einen Ort konkret und langfristig an der Sache dranbleiben – was es zugleich leichter und schwerer macht.
Sind die Grundlagen der Gesprächsführung in der Kommunikation zwischen Erwachsenen anders als in der Erwachsenen-Kind-Kommunikation?
Natürlich nicht. Kinder sind Menschen und alles, was Kommunikationstheoretiker über Kommunikation herausgefunden haben, gilt sowohl für die Kommunikation zwischen Erwachsenen als auch für die mit Kindern – mit einem großen Unterschied vielleicht: Wir als Erwachsene haben einen Erfahrungs- und Wissensvorsprung und tragen somit eine größere Verantwortung für das Gelingen der Kommunikation.
Eine Besonderheit in Gesprächen zwischen Kindern und Erwachsenen ist das Hierarchie- und Machtgefälle der Gesprächspartner. Was müssen Erwachsene beachten, um Dialoge mit Kindern auf Augenhöhe führen zu können?
Es wäre viel gewonnen, wenn Erwachsene sich dieses Macht- und Hierarchiegefälles bewusst wären und durch ihre Art der Rede den Kindern zu verstehen geben könnten: „Ich sehe Dich, ich achte Dich als einen Mensch mit Rechten, auch wenn Du noch so klein bist. Ich nehme meine Bedürfnisse nicht wichtiger als Deine, sondern sorge dafür, dass ich nicht bedürftig und misslaunig bin, sondern mit einem vollen Bedürfnisbecher zu Dir komme. Dann brauche ich Dich nicht, um meine Balance wieder herzustellen, sondern kann mich wirklich auf Dich einlassen: begebe mich auf Augenhöhe, passe meine Stimme dem emotionalen Gehalt der Botschaft an, rede langsamer, mit einem einfachen Wortschatz.“
Im Kita-Alltag finde ich das eine ziemliche Herausforderung und ich bedauere sehr, dass es für ErzieherInnen nicht das gibt, was ich von den Tontechnikern im Rundfunk kenne: Jede Stunde gehen diese für eine fünfminütige Pause vom Computer weg, um die Augen zu schonen. Solch eine Kultur der Sorge um sich selbst bräuchten PädagogInnen meiner Meinung nach ebenso dringend. Wenn ich gut bei mir bin, kann ich wahrnehmen, was das Kind mir verbal und nonverbal mitteilt und entsprechend achtsam die Situation gestalten. In der Gewaltfreien Kommunikation gibt es einen Spruch: „Worte können Fenster oder Mauern sein.“ Das gilt natürlich für Kommunikation allgemein. Bei Kindern bis zum Grundschulalter schreiben wir Erwachsenen durch unsere Kommunikation wesentlich die Muster, die ein Kind in seinem Verhalten zu sich selbst, gegenüber anderen und der Welt oft ein Leben lang prägen. Welche Veränderung könnte da in die Welt kommen, würden wir Erwachsene darauf mehr Aufmerksamkeit richten! Es passiert noch zu oft, dass Erwachsene mit Kindern reden, wie sie sich nie erlauben würden, Erwachsene anzusprechen. Und das passiert auch in Kitas. Da sage ich klar: Das darf nicht sein. Da stehen die Gesetze -eindeutig auch die Kinderrechtskonvention - dagegen.
Durch Ihre berufliche Tätigkeit sind Sie häufig in Kontakt mit Kindertageseinrichtungen. Welcher Gesprächskultur begegnen Sie dort?
Solcher und solcher. Oft hat sich über Jahre eine Form von Verständigung eingeschlichen und etabliert, von der die PädagogInnen sagen, sie verstünden sich gut. Allerdings werden aus Angst vor Streitereien alle möglichen Kröten geschluckt. Was ich vermisse, ist eine Ehrlichkeit, die auch Konflikte nicht scheut und in der Beobachtungen ausgesprochen werden, ohne dass jemand Recht haben will, wo aber etwas in Bewegung gerät.
Neulich war ich in einer Kita. Eine Erzieherin ruhte sehr in sich und redete mit einer großen Gelassenheit und einem großen Zutrauen zu den Kindern: 'Was wollt Ihr jetzt, was ich tue?' 'Ah, Du hast diesen Turm gebaut. Mir imponiert, wie hoch Du gekommen bist, ohne dass er umfällt. Was soll jetzt damit geschehen?' Das begeistert mich. Dass sie sich zeigte und sich so den Kindern als Kommunikationspartner anbot. In der gleichen Kita war eine Erzieherin sauer, weil die Kinder beim Vorlesen nicht gerade saßen und die 15 Minuten nicht in der Weise zuhörten, dass sie die Geschichte wiedergeben konnten. Die Erzieherin ließ ihren Ärger an den Kindern aus, beschämte sie. Ein anderer Erzieher rannte nur durch das Haus, nicht ansprechbar. Diese verschiedenen Stile standen so nebeneinander, ohne dass jemand mal fragt: Was wollen wir eigentlich für eine Kita sein? Welche Form von Kommunikation wünschen wir uns mit den Kindern, den Eltern und miteinander? Das passt nicht zur Vorbildrolle von pädagogischen Fachkräften und dem, was wir heute über Lernen wissen.
Nicht alle Kinder erzählen wie ein Wasserfall über ihre Erlebnisse, Gedanken und Gefühle. Wie kann es gelingen, besonders mit diesen Kindern ins Gespräch zu kommen?
War es Konstantin Wecker, der im Lied sang "Man muss ja nicht immer nur reden"? Spaß beiseite. Für wichtiger als das Reden halte ich die Verbindung, die sich statt mit Worten auch durch Gesten zeigen kann: Kuscheln, Hände halten, gemeinsam spielen usw. Schwierig wird es in der Tat, wenn die Kinder dazu nicht mehr bereit sind, sie sich verschließen, weglaufen, ständig kämpfen. Dann würde ich versuchen, herauszufinden, was dem Kind wichtig ist. Was kann ich denn aus all seinem Verhalten ablesen, was ihm wichtig ist. Was braucht es wirklich? Es lohnt zu fragen, ob man richtig geahnt hat. Es wäre toll einzugestehen, wie schwer von Begriff man als Erwachsener war, wie viel Mühe das Kind brauchte, um sich verständlich zu machen. Und dass wir nicht erwarten, dass das Kind immer gleich Freudensprünge macht, wenn bei uns der Knoten platzt. Manchmal braucht es Zeit, ehe das Vertrauen (wieder) aufgebaut ist, ehe das Kind sich sicher ist, dass wir es wirklich ehrlich meinen. Und natürlich ist die Frage: Kann und will ich dem Kind wirklich geben, wonach es verlangt. Auch da ist Ehrlichkeit gefragt.
Wie kann in der Kita Raum für ungestörte Gespräche geschaffen werden?
Ich halte es für einen Trugschluss, dass es extra Raum und Zeit für ungestörte Gespräche bedarf. So wie ich die Forschung z. B. über Sprachförderprogramme kenne, kommt da nichts Gescheites raus. Die Frage ist für mich: Glaube ich, dass Kinder mir etwas Interessantes zu erzählen haben und habe ich wirklich ein Interesse, mit ihnen das Leben zu teilen? Dann kann ich in jedem Moment für ungestörte Gespräche sorgen, beispielsweise beim Anziehen, Frühstücken, auf dem Weg zum Spielplatz, beim Händewaschen oder in der Kuschelecke nach dem Buchvorlesen. Natürlich kann ich, wenn es der Intention des Kindes entspricht, auch bitten, dass wir ganz allein sind. Kinder spüren sehr genau, ob man wirklich bei ihnen ist und teilen will, was ihnen wichtig ist oder ob man nur fragt, weil man aus bloßer Neugier etwas über die Familie herauskriegen will. Meist erzählen die Kinder, weil es für sie etwas so Kostbares ist, Leben und Erfahrungen zu teilen. Auch da braucht es ein Gegenüber, das achtsam und wertschätzend mit den Offenbarungen der Kinder ist und das auch wirklich Dinge als Geheimnisse bewahren kann und nicht als Lästerei den Kollegen weiter tratscht oder dann als Argument gegen die Eltern benutzt.
Herzlichen Dank für das Gespräch!